Sonntag, 3. August 2014

Tränen

Tränen

Aus der ganzen Stadt, auf allen Straßen den Berg hinauf laufen sie, Kinder, Jugendliche, Alte, Frauen und Männer in Uniform, die Waffen umgehängt, allein, in Gruppen, Dutzende, Hunderte, Tausende! ...eilig, schweigend,  sie werden empfangen vom großen Tor, durch das sie eintreten, von Wachen, vom Ordner, der Gehbehinderte in Elektrowägelchen verfrachtet.
Jerusalem, du Stadt auf dem Berge. Hier oben warten die Zypressen, schmal und hoch vor dem Himmel. Hier warten verschlungene Wege weiter hinauf, Treppen. Und Gräber, weiß, schlicht, alle gleich. Die Menschen laufen dicht bei dicht, schweigen, schieben sich weiter. Die schmalen Mauern sind besetzt, auf jeder Wegterrasse oben am Berg drängen sich die Menschen. Und schweigen.
Dann ein wehes, bitteres Aufschluchzen durch der Menge: der Sarg wird hochgetragen, darin liegt der Junge, unter der blauweißen Fahne, die Wartenden weichen zurück. Und schließen sofort wieder die Reihen, weinend, still.
Die Stille wird immer tiefer.
Mein Gott, mein Gott! Der Rabbi singt leise, mit erstickter Stimme. Die Mutter ruft Eli!Mein Gott! Brüder, Kameraden, Freunde erzählen so verwundet von dem, der vor zwei Tagen noch unter ihnen war, daß uns allen eisig wird. Und wir stehen dicht und dichter, die Frauen halten ihre Gebetbücher, die Männer umarmen sich, Kinder kauern auf den Mauern, Kleinkinder, einer der ihren ist getötet worden, ein Schicksal, ein Volk.
Heimtückisch getötet.
Aber die Stille ist tief. Ist groß.
Kein Wort des Hasses, fast zwei Stunden lang. Einsame Klage aus tiefstem Herzen, weit über die Hügel. Hoch zu  Gott.
Aber kein Wort des Hasses, kein Wort der Feindschaft. Kein Wort von Rache. Nichts von Vergeltung.
Die Sonne steht nun schon tief, die Menge verharrt noch immer schweigend, tief gebeugt, den ganzen Hang herunter.
Eine Welt ist zerstört. Ein Mensch ist nicht mehr.
Die Soldaten stehen überall, Liebende, Väter, Großmütter.
Ein Wind kommt auf, kühl zwischen den Zypressen, die liebenden Klagen reißen nicht ab. Die Gebete steigen in den Abendhimmel.
Was für ein Mensch war das.
Einer, der lachte.
Und so jung war, so jung.
Wir stehen miteinander, still, weinend. Der Berg weint. Wir gehören zusammen.
Weinen, über alle Tode.
Die Mutter hängt am Hals ihres Mannes, am Herzen ihrer anderen Söhne. Sie führen sie den Berg hinab, durch die schweigende, weinende Menge.

Wir aber lieben das Leben! Gott, wir lieben das Leben. Deshalb verteidigen wir es.
Alle.
Und jeden.



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